„Ich brauch‘ jetzt erstmal einen Kaffee…“ Wie oft hören wir diesen Satz nicht jeden Tag, und wie oft überkommt uns dann nicht auch gleich selbst die Lust auf eine Tasse des ebenso hippen wie bewährten „Hallo-Wach-Kicks“? Und dann setzen wir ohne langes Nachdenken den Vollautomaten in Gang oder den guten alten Handfilter, oder wir greifen aus Gründen der Zeitersparnis gleich zum schwarz-weiß-grünen Pappbecher einer bekannteren Ausschank-Kette aus Seattle. „Hmmm, wie der duftet, wie heiß der ist, aber ach, doch bitte ein bisschen Milch und Zucker hinein, denn der Geschmack, der ist nicht nur stark, nein, der ist auch ein bisschen – bitter!
Bitter ist der Begriff, der nicht nur den Geschmack von Kaffee ziemlich treffend beschreibt, sondern auch die Bedingungen, unter denen die begehrten Bohnen angepflanzt, geerntet verkauft und am Schluss bezahlt werden. Ankisawi Misganu vom World University Service berichtete jetzt im Englischunterricht der Klasse 11BGW3 eindrücklich und aufrüttelnd von der fatalen Abhängigkeit seines Heimatlandes Äthiopien vom Kaffeeanbau.
Anspruchsvolle Abwechslung vom normalen Englischunterricht
BSGG-Englischlehrerin Carolin Werner hatte den Studenten im Rahmen des Lehrplanthemas „Making a Difference“ eingeladen, bei dem sich die Klasse intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann. Eine Abwechslung vom normalen Englischunterricht, so Werner – allerdings eine anspruchsvolle: Auf Englisch skizzierte Misganu die Bedingungen, unter denen in Äthiopien Kaffee angebaut wird, wie wenig gerecht die Verteilung des Gewinns erfolgt, und wie ausgeliefert sein Land letztlich den Schwankungen am Weltmarkt ist.
16 Millionen Menschen, so der Student, lebten in Äthiopien von der Kaffeewirtschaft, 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) würden in diesem Bereich erwirtschaftet. Aber während der Endpreis für ein Kilo Kaffee in Deutschland bei umgerechnet etwa 60 Euro liege, kämen bei den Kaffeebauern davon lediglich vier Euro pro Kilo an. Allein 46 Prozent des Preises seien Steuern.
Daneben leide Äthiopien – wie auch viele andere afrikanische Staaten – unter dem Problem massiver Kinderarbeit. „Rund 72 Millionen Kinder arbeiten in Afrika auf Farmen“, sagte Misganu. 80 Prozent von ihnen auf Kaffee- oder Kakaoplantagen. Acht- bis Zwölfjährige arbeiteten dort für umgerechnet 20 Cent am Tag, ohne Aussicht auf Bildung, ohne jeden Arbeitsschutz und Krankheitsbelastungen – etwa durch Pestizide – hilflos ausgeliefert.
Kein Kaffee ist auch keine Lösung
„Fair Trade“, das ist der erste Begriff, der der Klasse einfällt, als Misganu nach möglichen Auswegen aus dem Dilemma fragt. Aber auch der faire Handel sei nicht immer fair. Zwar sei der Preis, den die Bauern für das Kilo fair gehandelten Kaffee erzielten, in den Fair-Trade-Genossenschaften von 4.00 auf 4,50 Euro gestiegen, der Endpreis jedoch gleichzeitig von den Anfangs genannten 60 auf 80 Euro. Der Großteil der Gewinnsteigerung gehe also noch immer an den Bauern vorbei und fließe in andere Taschen.
Keinen Kaffee mehr zu trinken, das ist für Ankisawi Misganu aber auch keine Alternative – zu viele Menschen seien in seinem Land direkt oder indirekt vom Kaffee abhängig. „Es gibt keine schnelle Lösung“, sagte er. „Das Problem ist zu komplex, es ist weltumspannend.“ Ein globales Einlenken der Wirtschaftspolitik sei dringend nötig, denn letztlich sei auch ein Teil der aktuellen Flüchtlingsproblematik auf das wirtschaftliche Dilemma afrikanischer Staaten zurückzuführen, für die es keinen Ausweg aus der einseitigen und damit extrem schwankungsanfälligen Rohstoffproduktion gebe.
Daneben sei es nötig, immer weiter Aufklärungsarbeit leisten, immer wieder deutlich zu machen, welch bitteren Beigeschmack der Kaffee hat, den wir uns über Tag mehr oder weniger gedankenlos genehmigen. Die 11BGW3 hat an diesem Morgen auf jeden Fall eine Menge Stoff zum Nachdenken und Diskutieren über das Thema gesellschaftliche Verantwortung bekommen.