Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke, das ist das Bild, das wir vor Augen haben, wenn wir uns einen Neonazi vorstellen. Ein Bild, das sich einbrennt, das allerdings der aktuellen Entwicklung der Szene bereits hinterherhinkt. „So tritt heute kein Rechter mehr auf“, sagen zum Beispiel Margarete Bauer und Manfred Forell vom Hessischen Demokratiezentrum. Eine viel größere Gefahr stellten inzwischen die sogenannten „Nazis in Nadelstreifen“ dar.
Die rechte Szene ist unübersichtlicher geworden und oft weniger deutlich zu erkennen. Die daraus entstehenden Probleme werden damit aber umso komplexer. Einen Einblick in diese gefährliche Vielschichtigkeit gibt das Demokratiezentrum im Rahmen einer Wanderausstellung, die jetzt auch im Foyer der BSGG zu sehen war. Auf großformatigen Aufstellern gewährt die in Groß-Gerau vom Leiter der Fachkonferenz Politik/Wirtschaft, Andreas Krämer, koordinierte und betreute Schau umfassende Einblicke in den modernen Rechtsextremismus. Das Spektrum reicht dabei von Antisemitismus über die Kleidungs- und Zeichensymbolik der Szene, rechtsextreme Musik bis hin zu den Versuchen, auch die gesellschaftliche Mitte mit radikalem Gedankengut zu unterwandern.
Die Ausstellung wurde in den vergangenen Tagen von zahlreichen Klassen der BSGG besucht. Im Anschluss sprachen Bauer und Forell mit den Schülerinnen und Schülern in Workshops über einzelne Aspekte. Die Themen, die dort vertieft wurden, hatten die Schüler zumeist selbst gewählt. Einer Klasse ging es beispielsweise darum, mehr über Codes und andere Erkennungszeichen zu erfahren, andere Schüler interessierten sich für die Gründe, warum junge Menschen in die Szene abrutschen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als gesellschaftliches Syndrom
Nach Auffassung der Zentrums-Mitarbeiter reicht die gesellschaftliche Problematik des Extremismus aber inzwischen noch deutlich tiefer. Bauer und Forell sprechen von einem „Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Darunter versammelt sich nicht nur die hergebrachte Fremden- und Ausländerfeindlichkeit der extremen Rechten, sondern ein ganzer Katalog von Ressentiments, der sich gegen Wohnungslose ebenso richtet, wie gegen Homosexuelle oder Langzeitarbeitslose, und die neben Rassismus und Antisemitismus auch Felder wie Sexismus umfasst. Gegen all diese Tendenzen gelte es inzwischen anzuarbeiten, wenn Extremismus und Populismus erfolgreich demokratische Werte entgegengesetzt werden sollen.
BSGG-Statement für Toleranz und Offenheit
Für BSGG-Schulleiter Martin Gonnermann hat die Ausstellung daher nicht nur eine informative Funktion, sondern sie ist gleichzeitig ein klares Statement für die an der Schule eingeforderte und vorgelebte Toleranz und Offenheit: „Grabenkämpfe zwischen Ideologien, Religionen und Weltanschauungen können und wollen wir uns hier nicht leisten. Unsere Aufträge heißen Bildung und Qualifikation, und jeder, der hier ist, hat dabei das Recht auf unsere Unterstützung und auf unseren Schutz.“
Außerdem wirkt im Umkehrschluss nach Gonnermanns Worten nichts so gut gegen die beschriebene Ideologie der Ungleichwertigkeit wie eben Bildung: „Es geht darum, unsere Schülerinnen und Schüler so zu qualifizieren, dass sie die Gesellschaft voranbringen können, anstatt tatenlos zuschauen zu müssen, wie sie sich spaltet.“ Wirtschaft, Ökologie, soziale Gerechtigkeit - die Palette sei groß und die Themen mehr als anspruchsvoll.
Einem Wohnungslosen bei einem Becher Kaffee zuhören
Wie sich die von Gonnermann beschriebenen und eingeforderten Qualifikationen bereits quasi vor der Haustür auswirken können, beschrieb eine Schülerin eindrucksvoll in einem der Workshops: Sie habe häufig achtlos an den Wohnungslosen vorbeigesehen, von denen es im Zentrum von Groß-Gerau etliche gebe. Eines Tages habe sie jedoch einem von ihnen, der in der Nähe ihrer Haustür gelagert habe, einen Kaffee gebracht und ihm einfach eine Weile zugehört. Der Mann habe eine Ausbildung gehabt und ein geregeltes Leben geführt, bis er durch einen Unfall seine Arbeit verloren habe und danach immer weiter abgerutscht sei. Ihr Blick und ihre Meinung über diese Gruppe von Menschen hätten sich durch die Begegnung nachhaltig verändert.