Dass Osman Citir explizit über Berufsausbildung sprechen würde, kann man anfangs nicht wirklich behaupten. Obwohl die Wand der BSGG-Sporthalle hinter ihm mit großformatigen Aufstellern verschiedenster Unternehmen geradezu gepflastert ist, plaudert er zunächst einmal locker und frech über die heruntergezogenen Mundwinkel von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit denen sie „immer in die falsche Richtung lächelt“, über coole türkische Geheimagenten, die an der Bar statt geschütteltem Martini Ayran trinken, und über steifhüftige Deutsche, die bei allem und jedem immer erst einmal den Ausweis sehen wollen…
Nein, über Berufsausbildung spricht Osman Citir erst einmal nicht. Aber mehr als 350 Schüler in der Sporthalle der BSGG hängen an diesem Morgen trotzdem – oder gerade deshalb - an seinen Lippen. Denn Citir ist ein guter Comedian, der sein Publikum nicht nur zu fesseln versteht, sondern es auch – ganz beiläufig – zum Mitspielen animiert und so in seine Show geradezu hineinzieht.
Einige Lehrer in den hinteren Reihen beginnen sich nach einer Weile allerdings schon ein wenig bang zu fragen: „Wie wird der Mann am Ende die Kurve kriegen?“ Denn: Das ist hier nicht der Deutsche Kleinkunstpreis, sondern ein Berufsfindungs- und gleichzeitig auch ein Motivations-Event. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich an diesem Tag nicht nur dezidiert Gedanken über ihre künftigen Berufe machen, sondern auch Motivationsstrategien an die Hand bekommen, die ihnen den Weg ins Studium, die Ausbildungsstelle oder den späteren Job erleichtern sollen.
Beim Format bewusst Neuland betreten
Die BSGG betreten mit diesem überraschenden und damit auch ein wenig verunsichernden Format aber ganz bewusst Neuland: „Wir wollten eine Veranstaltung, die wie guter Unterricht ist“, sagt Schulleiter Martin Gonnermann. „Wir wollten die Aufnahmefähigkeit unserer Schülerinnen und Schüler anregen und ihnen damit helfen, sich mental auf die Inhalte vorzubereiten.“ Denn Informationsvermittlung scheitere häufig eben nicht an der Information, sondern an fehlender Aufnahmefähigkeit.
Als die Bildungsagentur Sigma-Studio den BSGG das Konzept anbot und sich die Arbeitsagentur Bad Homburg anbot, die Kosten für das Event zu übernehmen, sagte die Schule sofort zu. Und mit „Jetzt erst Recht“ – so der Titel der insgesamt fünfstündigen Veranstaltung - scheinen die Anbieter tatsächlich einen Nerv getroffen zu haben. Osman Citirs eineinhalbstündiges Programm ist dabei nur ein Teil des Ganzen: Es ist die Vorbereitung auf eine Reihe von Workshops, in denen unterschiedlichste Unternehmen, Banken, Dienstleister aber auch Hochschulen oder die Bundeswehr den Schülern dezidiert Einblicke in Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten geben. Seine Show ist die von Schulleiter Gonnermann geforderte mentale Vorbereitung.
Und natürlich kriegt Citir am Ende die Kurve – und wie! Auf ganz leisen Sohlen und quasi durch die Hintertür schleicht er sich ins eigentliche Thema hinein. Und als er drin ist, bleibt den Schülerinnen und Schülern das Lachen vielfach erst einmal im Hals stecken, einige verlassen sogar den Raum, kämpfen mit den Tränen.
Schlachtruf zum Überleben
Denn „Jetzt erst recht“, das ist der Schlachtruf von Citirs jüngerem Bruder, der vor Jahren scheinbar unheilbar an Krebs erkrankt, den Kampf ums Überleben aufnimmt. „Jetzt erst recht!“, ruft er trotzig, wenn wieder eine Chemotherapie nicht anzuschlagen scheint, „Jetzt erst recht“, wenn sich neuerlich Metastasen gebildet haben, wenn er immer schwächer wird, so dass sich seine Familie bereits von ihm verabschiedet.
Dass er am Ende den Kampf gewinnt, ist für seinen großen Bruder vor allem diesem Schlachtruf zu verdanken. Der unbeugsame Wille seines kleinen Bruders, der sich darin manifestiert, wird damit auch für Citir künftig Ansporn, Motivation und Lebensmotto: Die Schulnoten für einen kaufmännischen Abschluss zu schlecht? „Jetzt erst recht!“ Die Traumlehrstelle trotz vorheriger Zusage nicht bekommen? „Jetzt erst recht!“
Das mag vielleicht alles ein wenig amerikanisch klingen, und vielleicht an manchen Stellen auch ein wenig schlicht gestrickt. Aber nachdem Citir seinem Publikum mit einigen derben Pointen den Kloß, der dort zwischenzeitlich steckte, wieder aus den Hälsen operiert hat, sind die meisten BSGG-Schüler bereit für ihre Teilnahme an jeweils zwei Workshops unterschiedlicher Unternehmen. Und vielleicht sind sie ja auch tatsächlich ein Stück weit vorbereiteter, sich auch den Herausforderungen der Berufsfindung stellen.